Ohne Bahnsteigkarte gab es keinen Zutritt

(aus: Werner Ströker: Geschichte(n) aus Warendorf, 2016)

 

Der 8. Februar 1887 war ein wichtiger Tag für Warendorf. An diesem Tag kam der erste Zug, der „Pängel-Anton“ von Münster nach Warendorf gedampft. Als er in den neu gebauten Bahnhof zwischen der Wallpromenade und der Breede einfuhr, waren alle Honoratioren von Warendorf auf dem Perron, wie man damals den Bahnsteig nannte, versammelt. Zum Empfang spielte ein Musikkapelle und ein Hoch auf den Kaiser durfte natürlich auch nicht fehlen. Der zweite Abschnitt, die Weiterfahrt bis Rheda, wurde am 24. Mai 1887 in Betrieb genommen. Auf den Bildern die Vorderseite und Rückseite des heute noch vorhandenen Bahnhofs.

 

Die Fahrtzeit auf der rund 26 km langen Strecke zwischen Münster und Warendorf betrug laut Fahrplan rund 1,5 Stunden und für die rund 74 km von Münster nach Lippstadt wurden etwa 4,5 Stunden benötigt.

 

Was damals noch keiner ahnen konnte der erste Bahnhof an der Wallpromenade wurde nur circa 14 Jahre benötigt. Ab 1895 plante und baute man an einer Bahnlinie Neubeckum – Ennigerloh – Westkirchen – Freckenhorst – Warendorf. Als diese neue Strecke durch die Westfälische Landeseisenbahn am 1. April 1901 aufgenommen wurde, gab es schon einen neuen Bahnhof an der jetzigen Stelle. Da Warendorf jetzt schon fast ein Eisenbahnknotenpunkt geworden war, benötigte man für die Bahnsteige, Gleise, Rangiergleise, Verladerampe, Gleisunterführung und Lokschuppen wesentlich mehr Platz. Dies kann man auf den Bildern deutlich erkennen. In dem neuen Bahnhofsgebäude war auch ein Warteraum und eine Gaststätte untergebracht in der sich Reisende, die auf einen Anschlusszug warteten, aufhalten konnten.

 

Der alte Bahnhof wurde von der hoch musikalischen Familie Rosenstengel, deren Familienmitglieder alle mehrere Musikinstrumente spielten, bezogen. Gleichzeitig war hier das Finanzamt untergebracht.

 

Bedingt durch die Verlegung des Bahnhofs war auch eine Veränderung der Streckenführung nach Münster zur heutigen Trasse notwendig geworden. Die ursprüngliche Bahntrasse nach Münster verlief genau da, wo heute tausende Personen- und Lastwagen täglich unterwegs sind, nämlich dem jetzigen August Wessing Damm. Wie auf dem Bild zu sehen ist, war hier nach dem Abbau der Gleise ab 1902 nur ein Sandweg, der 1934-1936 zur Dammstraße (später auch mal Adolf Hitler Damm) und jetzt August Wessing Damm ausgebaut wurde. Bis zu der Zeit musste der gesamte Verkehr aus allen Richtungen und in alle Richtung durch die Warendorfer Innenstadt.

 

Nur gut 50 Jahre wurde die Strecke Neubeckum - Warendorf von der Westfälischen Landeseisenbahn genutzt. Das Bild zeigt die letzte Fahrt des „Pängel-Anton“ am 2. Juni 1956. Danach wurde der Betrieb wegen mangelnder Rentabilität eingestellt. Die Gleise wurden abgebaut und die Bahnhöfe in Freckenhorst und Westkirchen geschlossen. Von Warendorf bis Freckenhorst ist auch die Trasse verschwunden. Aber hinter Freckenhorst wo der Römerweg auf die Landstraße 793 (Freckenhorst – Westkirchen) trifft, da ist sie noch, die Trasse. Von hier aus kann man mit den Fahrrad oder auch zu Fuß der alten Trasse folgen über Westkirchen bis zu den Zementwerken nach Ennigerloh. Das Bild auf Seite 6 zeigt den ehemaligen Bahnhof in Freckenhorst.

 

Als ich 1953 Fahrschüler wurde kaufte man seine Fahrkarten (auch Wochen- oder Monatskarten) am Fahrkartenschalter (siehe Bild). In dem großen Sichtfenster war eine Sprechklappe angebracht und in den Tresen ein rund laufender Mechanismus. Auf der Kundenseite wurde das Geld für die Fahrkarte, auf der Bedienerseite die Fahrkarte und Wechselgeld eingelegt. Danach wurde gedreht und der Vorgang war abgeschlossen.

 

Auf dem Bahnsteig war man aber noch lange nicht. Erst kurz vor Ankunft des Zuges und dessen Weiterfahrt kamen zwei uniformierte Eisenbahnbeamte und besetzten die Sperre. Die Karte musste vorgezeigt werden, sie wurde abgeknipst und man durfte passieren. Hatte man keine Fahrkarte (man wollte sich doch auf dem Bahnsteig vom Besuch verabschieden) musste für 10 Pfennig eine Bahnsteigkarte gekauft werden.

 

Aber nicht nur Personen wurden mit der Bahn befördert, nein auch Güter, vor allem schwere Güter. Auf den Bildern die Verladung von großen Kanalrohren von einem Eisenbahnwaggon auf einen Lastwagen der Firma Bruch & Co. und den Versand von Ladewagen der Firma Hagedorn.

 

Pünktlich zu den Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Züge kam ein Postkarren, der von drei Beamten der Post gezogen oder geschoben wurde. Aus einem dem Personenzug anhängenden Postwagen wurde die für Warendorf bestimmte Post ausgeladen und die abgehende Post eingeladen. Unser Bild zeigt die Postbediensteten bei der Arbeit.

 

Das letzte Bild wurde im Februar 1995 aufgenommen. Es zeigt das 1901 in Betrieb genommene Bahnhofsgebäude, wie es bei einem Großbrand vernichtet wird.